APPlause – für Schüler mit Förderschwerpunkt “Geistige Entwicklung”

Patrick Schäfer | 21. Januar 2016

 In diesem Blogbeitrag berichte ich über meine ersten Erfahrungen im Musizieren mit Apps, die ich im Rahmen einer Arbeitgemeinschaft an einer Schule mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung gesammelt habe. Musikapps verfügen  über Potentiale, die Schülern mit dem Förderschwepunkt  geistige Entwicklung eine positiv wirkende Auftrittssituation ermöglichen. Dieses Erfolgserlebnis stellte sich bereits nach  vier Unterrichtsstunden ein.

 

Motivation und Zielsetzung

Meine ersten Erfahrungen im Ensemblespiel mit Musik-Apps machte ich am Kaufmännischen Berufsbildungszentrum Halberg in Saarbrücken. Dort gründete ich 2012 eine Lehrer-Schüler-Band. In dieser Band musizieren wir nicht wie gewöhnlich mit realen Instrumenten, sondern mit virtuellen App-Instrumenten auf iPads. Die iOS-eigene Musik-App “GarageBand” wird in der sogenannten iBand als Pendant zu herkömmlichen, traditionellen Instrumenten eingesetzt. Nach diesem Konzept musiziere ich seit 2014 ebenso an der Schule am Webersberg mit einer Gruppe von acht körperlich schwerstbehinderten Schülern. Um diesen Schülern einen schnellen Zugang zum Musizieren zu verschaffen, spielen wir dort nicht nach klassischen Noten, sondern mit Hilfe einer Farbnotation.

Als Teilnehmer des »Zertifikatskurses tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bildung« bekam ich die Aufgabe, ein neues Praxisprojekt mit Musik-Apps durchzuführen und zu reflektieren. Motiviert von meiner Vorerfahrung mit Musik-Apps im Ensemblespiel entschloss ich mich, Musik-Apps auch einmal mit Schülern mit dem  Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zu erproben. Als Lehrer für berufliche Schulen war mir diese Zielgruppe völlig fremd – also ein Sprung ins kalte Wasser.

Vorgespräch in der Schule und Planung der ersten Unterrichtseinheit

Also nahm ich Kontakt zu einer Schule mit Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“ auf und vereinbarte mit der Schulleitung einen Termin.  Das Vorgespräch mit Frau Kaiser, der stellvertretenden Schulleiterin der Friedrich-Joachim-Stengel Schule (Heusweiler / Saarland), fand in der 40. KW 2015 statt.

Ich erklärte ihr, dass ich gerne das Musizieren mit Apps auf iPads mit einer Schülergruppe ihrer Schule erproben möchte. Frau Kaiser stimmte meinem Wunsch zu und stellte mir eine Gruppe mit fünf Schülern zusammen. Der erste Termin wurde für die  42. KW geplant. Für diese erste Unterrichtseinheit erstellte ich Notenmaterial in der bewährten Farbnotation für den Song “Tage wie diese”. Die einzelnen Stimmen sollten von den Schülern mit Smart-Instrumenten der App GarageBand in einer „JamSession“ live gespielt werden. Die “JamSession” ist ein spezieller Spielmodus in der App GarageBand, der ein synchronisiertes Spielen der Smart-Instrumente unterstützt und damit erleichtert. Das Spielen von Smart-Instrumenten in GarageBand setzt voraus, dass die Musiker im 4/4-Takt bei Akkordwechsel die entsprechende Farbmarkierung auf dem Smart-Instrument antippen. Dies sollten die Schüler bewältigen können, dachte ich mir. Doch in der ersten Unterrichtseinheit wurde ich eines Besseren belehrt.

Erster Termin: Konflikte und Erfahrungen

In der 42. KW fand das erste Treffen mit den Schülern statt. In der Kennenlernrunde machte ich die Erfahrung, dass eine verbale Kommunikation mit den Schülern nicht möglich war. “Wir zeigen hier viel”, erklärte mir Frau Merkel. Frau Merkel ist die Klassenlehrerin zweier Schüler, die an der Arbeitsgemeinschaft teilnehmen.

Ich versuchte mit den Schüler eine Instrumentalstimme des Songs „Tage wie diese“ mit Hilfe der Farbnotation und der App GarageBand einzuüben. Der Versuch scheiterte bei einigen Schülern schon gleich bei der Bedienung der App. Mangels an feinmotorischen Fähigkeiten konnten die Smart-Instrumente der App erst gar nicht gespielt werden. Ein  autistischer Schüler verweigerte sogar massiv das Berühren des iPads. Mir wurde bewusst, dass die Umsetzung meiner Planung in dem vorgegebenen Zeitrahmen nicht  planmäßig durchgeführt werden konnte.

Frau Merkel erklärte mir, dass es einigen Schülern in unserer Gruppe gar nicht bewusst sei, dass Sie selbst den Ton auf dem iPad erzeugen. Bei Menschen mit geistiger Behinderung sei die Wahrnehmungsfähigkeit in Folge einer oder mehrerer Sinnesminderungen häufig eingeschränkt. Mir wurde klar, dass ich das Musizieren mit Apps so gestalten musste, dass meine Schüler nach ihren Möglichkeiten gefördert werden. Nur dann würde mein Projekt zu einer Steigerung des Lebensgefühls beitragen und motivierend wirken.

Zudem stellte ich fest, dass der Raum, der mir für die AG zugeteilt wurde, für das Musizieren mit dieser Zielgruppe ungeeignet war. Die Tischformation im Lehrerzimmer, die nur schwer verändert werden konnte, wirkte wie eine Barriere zwischen mir und den Schülern, als auch zwischen den Schülern selbst. Die weiteren Termine konnten unmöglich an diesem Ort stattfinden.

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v.l.n.r.: Eingliederungshelferin mit Jermaine, Jan mit Eingliederungshelfer, Eingliederungshelfer mit Hasan, Jasmin, Dalia

 

Entwicklung des neuen Konzeptes

In den Herbstferien (43. und 44. KW) hatte ich nun Zeit mir Gedanken über ein neues Konzept zu machen. In der ersten und zweiten Phase meines »Zertifikatskurses tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bildung« hatte ich gelernt, dass Apps zu anderen, neuartigen Projekten führen müssten, die ohne die Spezifik dieser Devices nicht umsetzbar wären (vgl. Handout “Inklusion” von Matthias Krebs). Also wählte ich Apps aus, deren Spieloberflächen individuell an die Bedürfnisse der Nutzer angepasst werden konnten. Ich entschied mich für die musikalische Darbietungsform der Improvisation. Zu einem Song sollten die Schüler mit verschiedenen Apps frei improvisieren. Ich wählte folgende Apps aus:

JamBandit, MorphWiz, Bebot und ChordPolyPad

Im Folgenden werden die Apps kurz beschrieben und er wird herausgestellt, warum sich diese insbesondere für geistig behinderte Menschen eignen.

 

Die verwendeten Apps

JamBandit

Die App JamBandit ermöglicht dem Musiker ein Instrument mit einem ausgewählten Lied zusammen zu spielen. Die App wählt dabei automatisch die korrekte Skala aus, die aktuell im Song benötigt wird. Ein Verspielen ist damit ausgeschlossen. Durch rhythmisches Bewegen des Fingers kann der Musiker zum ausgewählten Song improvisieren und sich somit individuell ausdrücken. Zudem wird zur Tonerzeugung beim Tippem und Streichen über den Touchscreen eine nahezu magische Grafik generiert. Das Zusammenspiel von Klang und Grafik wirkt sich positiv auf die Wahrnehmung des Musikers aus.

MophWiz

Mit dieser App können neuartige Synthesizerklänge gespielt werden. Die App bietet eine große Auswahl von vorprogrammierten Klängen. Ebenso wie bei JamBandit werden beim Spielen beeindruckende Grafiken erzeugt. Vergleicht man MorphWiz mit den klassischen Orff Instrumenten, bei denen nicht benötigte Stäbe bzw. Töne herausgenommen werden können, so kann die virtuelle Tastatur dieser App an den Musiker ebenso angepasst und die Tonart eingestellt werden. Nicht benötigte Töne werden einfach ausgeschaltet. Improvisieren die Schüler mit MorphWiz zu einem Song, so passen die gespielten Töne immer dazu. Dadurch stellen sich schnell Erfolgserlebnisse ein, was sich meist positiv auf die Lernmotivation der Schüler auswirkt.

Bebot

Diese App lässt sich ähnlich wie die App MorphWiz an den Musiker anpassen. Auch hier können Synthesizerklänge, Töne und Tonart individuell eingestellt werden. Die Hintergrundgrafik, ein animierter Roboter, steigert die Motivation des Musikers und bereichert den Zuhörer bzw. Zuschauer.

ChordPolyPad

Leider gehen mit einer geistigen Behinderung neben Einschränkungen in den kognitiven Fähigkeiten häufig auch Einschränkungen der motorischen Fähigkeiten einher. So wird es Menschen mit geistiger Behinderung häufig verwehrt, Instrumente, die eine feinmotorische Koordination erfordern wie z.B. das Klavier, zu erlernen. Mit der App ChordPolyPad können einzelne Akkorde, die man auf Tasteninstrumenten spielt, Touchpads zugeordnet. Der motorisch eingeschränkte Musiker tippt dann lediglich auf das entsprechende Touchpad und der Akkord erklingt. ChordPolyPad überbrückt eine Barriere und ermöglicht dem motorisch eingeschränkten Menschen somit das Spielen von Akkorden eines Tasteninstrumentes.

Die Apps wurden wie folgt eingestellt:

App Einstellung 1 Einstellung 2
JamBandit E-Gitarre Song: The inner door
MorphWiz Sound: Green Sun und Rush analog A-Dur, natural minor ohne m6
Bebot Sound: Sawtooth Nur Ton “A”
ChordPolyPad interner Sound: Lead Chord Am, C, G, D

 

Zweiter Termin – 45. KW

Der zweite Termin fand in der Schulturnhalle statt. Ich legte Matten aus und musizierte auf dem Boden. Die iPads wurden mit ein batteriebetriebenen Mischpult verbunden, das an einen batteriebetriebenen Verstärker angeschlossen wurde. Nachdem die flexible Minianlage aufgebaut war konnten wir mit dem Musizieren beginnen.

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v.l.n.r.: Jan mit Eingliederungshelfer, Eingliederungshelfer mit Hasan, Dalia, Jasmin, Ilse Merkel (Pädagogische Fachkraft),  Eingliederungshelferin mit Jermaine.

Mit der App JamBandit wurde der Song “The inner door” abgespielt. Dabei improvisierte Dalia mit dem Sound einer verzerrten Gitarre. Jermaine und Jasmin improvisierten mit der App Morphwiz, Jan hatte sich für die App Bebot entschieden. Hasen verweigert immer noch das Berühren des iPads, zeigte aber schon mehr Interesse als beim ersten Termin. Einmal tippte er sogar auf das iPad und spielte einen Ton. Frau Merkel spielte die Akkorde mit der App ChordPolyPad. Nachdem alle zunächst einmal zusammen improvisierten, versuchte ich ein organisiertes Improvisieren. Jeder sollte erst dann mit der Improvisation beginnen, wenn er von mir ein Zeichen bekam. Dieser Prozess fiel den Schülern noch schwer. Das folgende Video zeigt die ersten Improvisationsversuche.

 

Fazit und Beobachtung der Unterrichtsstunde

Durch die geeignete Auswahl der Apps  wurde ein unmittelbares Musizieren ermöglicht, ohne Zählzeiten und Akkordfolgen einhalten zu müssen. Das Improvisieren motivierte die Schüler sehr, da sie direkt ein Erfolgserlebnis erfuhren. Die Schulturnhalle hatte sich als Räumlichkeit für unsere Appmusik AG bewährt, denn die offene barrierefreie Form wirkte wesentlich entspannter auf alle Teilnehmer als die Tischformation im Lehrerzimmer.

Dritter Termin – 47. KW

Leider waren an diesem Termin nur zwei der fünf Schüler anwesend. In dieser Woche fand das Schulpraktikum statt, an dem drei Schüler teilnahmen. Im Hinblick auf unseren Auftritt, der in der 49. KW stattfinden sollte, konfrontierte ich die Schüler mit der Situation im Stehen mit iPad-Ständern zu musizieren. Weiterhin wurde das organisierte Improvisieren geübt. Die Schüler sollten lernen erst dann mit dem Spielen einzusetzen, wenn sie von mir ein Zeichen bekamen. Dazu mussten Sie Blickkontakt mit mir halten, was Schülern mit Autismus besonders schwerfällt. Für diese Übung wird ein klassisches Stück in der App JamBandit ausgewählt.

Das folgende Video zeigt das Ergebnis der dritten Unterrichtsstunde.

Vierter Termin – 48. KW

Zu diesem Termin waren wieder alle Teilnehmer unserer Appmusik AG anwesend. Zum Glück, denn in der nächsten Woche sollte bereits der Auftritt vor Publikum stattfinden. In dieser Generalprobe ging es dann noch einmal darum, mit allen Schülern ein organisiertes Improvisieren im Stehen zu trainieren. Herausstellen möchte gerne die positive Entwicklung von Hasan, der mittlerweile selbst Töne auf dem iPad produziert, wenn auch noch mit Unbehagen, wie das Video erkennen lässt.

Fünfter Termin – 49. KW

Am 4.12.2015 fand um 10:00 Uhr in der Außenstelle der Friedrich-Joachim-Stengel-Schule eine vorweihnachtliche Feier statt. Dort haben wir unser Improvisationsprojekt einem Publikum präsentiert. Damit das Publikum auch sehen konnte, wie die Musiker auf ihren iPads spielen, wurden die iPads gefilmt und auf eine Leinwand projeziert.

Ich bin der Meinung, dass dieser Auftritt für die jungen Appmusiker ein tolles Erlebnis war. Auch der tobende Applaus trug dazu bei ihr Selbstbewustsein zu stärken. 

 

Fazit und Ausblick

Das Projekt hat gezeigt, dass Musikapps  über Potentiale verfügen, die Schülern mit  Förderbedarf geistige Entwicklung in kürzester Zeit eine positiv wirkende Auftrittssituation ermöglichen. Förderungen solcher Situationen kommen insbesondere Menschen mit Behinderung zugute, weil dadurch ihre soziale Rolle als auch ihr soziales Image in unserer Gesellschaft aufgewertet wird. Folglich fördern derartige Projekte auch die “ Inklusion“ , also das Recht ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu sein. Diesem  Recht  nachzukommen, sind wir gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention seit 2009 nicht nur in Deutschland verpflichtet. Im Rahmen meiner zweistündigen Abordnung an das Landesinstitut für Pädagogik und Medien des Saarlandes, für das Projekt „Barrierefrei musizieren mit Apps“, unterstütze ich die Friedrich-Joachim-Stengel-Schule weiterhin, so dass die Appmusik AG selbstständig weitergeführt werden kann.

 

Patrick Schäfer

 

Patrick Schäfer, Musiker, Lehrer am KBBZ Halberg in Saarbrücken sowie Gründer des einzigartigen Appmusik-Projektes iBand-Saarland. Seit 2015 führt er Fortbildungen am Landesinstitut für Pädagogik und Medien des Saarlandes (LPM) zum Thema „Barrierefrei musizieren mit Apps“ durch.


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