Digital ist besser! – Mit dem iPad auf die Bühne

Gregor Steinbrecher | 25. Februar 2017

„Digital ist besser“ – so der Titel des wegweisenden Tocotronic-Albums aus dem Jahre ’95. Reichlich überspitzt deutet die deutsche Indie-Rock Band damit auf einen technischen Wandel, der mittlerweile die gesamte Gesellschaft durchdrungen hat. Doch auch 22 Jahre nach diesem Debüt gibt es kaum Lehrangebote, die Kindern und Jugendlichen einen Weg in die Welt der digitalen Musik weisen. Das möchte ich an Berlins größter privater Musikschule Tomatenklang ändern – mit dem Digital Ensemble.

Tomate Rockt - Das Musikschulkonzert

Tomate Rockt 2016 – über 500 Freunde, Eltern und Bekannte kamen in die Musikbrauerei Prenz’l Berg um die Schüler der Musikschule Tomatenklang zu bejubeln. Der Abend wird in 3 Sets mit wechselndem Publikum unterteilt. Dieses Jahr tritt hier auch das Digital Ensemble auf!

Neben Streicher- und Bläserensembles, Chorarbeit und Rockbands gibt es seit Februar 2017 auch die Möglichkeit mit Apps in einer Band zu musizieren und damit beim jährlichen Musikschulkonzert tomate rockt aufzutreten. Die iPads für dieses Projekt wurden mir freundlicherweise vom Medienkompetenzzentrum Pankow zur Verfügung gestellt.

Mein pädagogisches Kernziel ist die Schaffung eines Lernumfeldes, in dem die Jugendlichen eine musikalische Inszenierung selbst erschaffen und gestalten. Anhand eines Coversongs wurde dabei von der Auswahl der Klänge über die musikalische Stilistik bis hin zur Bühnenshow alles gemeinsam innerhalb der  Gruppe diskutiert und entschieden. Das Format des Ensembles bietet dabei die Möglichkeit soziale Kompetenzen auszubauen, was mir ein besonderes Anliegen ist. Die iPads bieten darüber hinaus wunderbare Voraussetzungen, um ästhetische Merkmale bei Sound- und Stilfragen schnell zu erkunden.

Digital ist besser_Diskussion

In der Gruppe wird diskutiert, wie der Song klingen soll. Einige Vorstellungen vom Sound brachten die Mädchen bereits mit. Andere formten sich beim Spielen.

Das Tomatenklang Digital Ensemble bestand im ersten Jahr aus 3 Musikerinnen. In den folgenden Jahren soll die Gruppengröße sich auf bis zu 6 Teilnehmer vergrößern. Eingeladen sind alle Musikschüler zwischen 10 und 17 Jahren. Bis zum Auftritt am 1. April fanden vier Proben à 90 Minuten statt.

Das erste musikalische Werk des Ensembles war ein Cover des Elvis Presley-Songs „I can’t help falling in love“, ein Vorschlag der 16-Jährigen Sängerin Lou-Ann.

Warum eigentlich iPads? Die Möglichkeiten der Appmusik.

Damit die Jugendlichen nicht schon bei der Auswahl der Apps vor den unzähligen Möglichkeiten kapitulieren, die der AppStore bietet, habe ich vorselektiert. Es gibt z.B. viele Apps mit denen sich wunderbar improvisieren und experimentieren lässt und bei denen auch oft der Zufall mitbestimmt. Da wir aber einen Song gecovert haben, brauchten wir Apps, mit denen gezielt bestimmte Töne und Harmonien gespielt werden können. Für meine Vorauswahl waren mir außerdem zwei pädagogische Ziele wichtig:

  1. Eine Auswahl unterschiedlicher Klänge anzubieten. Aus der Kernfrage: “Welcher Sound passt zu unserem Lied?” ergeben sich viele Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Musik. Welche Aussage hat das Original? Welche Aussage möchten wir selbst durch den Sound unterstreichen? Was können wir anders machen als Bands, die ohne iPads auftreten? usw.
  2. Apps zu zeigen, deren Bedienkonzepte sich von traditionellen Musikinstrumenten unterscheiden. Hier liegt meiner Ansicht nach ein riesiges Potential der Appmusik. Die unterschiedlichen Ansätze der Entwickler bieten völlig neue Möglichkeiten Musik zu machen und zu verstehen. Die Schülerinnen hatten so die Möglichkeit schnell verschiedene Ansätze auszuprobieren und die App zu wählen, die sie am stärksten motiviert. Jede Musikerin durfte sich zu Beginn für eine Instrumentengattung entscheiden, dann wurden die Apps ausprobiert.

Diese Apps standen den Schülerinnen zur Auswahl.

Strukturen erkennen, Klangeindrücke verarbeiten, aufeinander hören… und immer schön das Tempo halten – Musik lernen im Ensemble

Timing und rhythmische Koordination sind im Ensemble zwei der größten Herausforderungen. Jeder Schlag und jeder Griff muss sitzen. Und dabei immer mit einem Ohr bei den Bandkollegen bleiben, um nicht aus der Form zu kommen! Hat eine Schülerin schon einige Jahre Musikschulunterricht, traut sie sich vielleicht das Bedienen einer App zu, die Live gespielt wird. Für Schüler mit weniger Erfahrung bieten sich loopbasierte Apps an. Bei den loopbasierten Apps werden musikalische Sequenzen vorbereitet und beim gemeinsamen Musizieren als Schleife abgespielt. Die Herausforderung hier: Die musikalische Form muss verfolgt und im richtigen Moment der passende Loop ausgewählt werden. Außerdem können Echtzeit-Klangmanipulationen der vorbereiteten Loops vorgenommen werden. So wird bei den Schülern das Bewusstsein für unterschiedliche ästhetische Merkmale in der Musik geschärft.

Der Stepsequenzer von DM1 – Einmal programmiert, läuft der Beat als Schleife

Der Stepsequenzer von DM1 – Einmal programmiert, läuft der Beat als Schleife.

SoundPrism Oberfläche

Bei SoundPrism Pro wird live gespielt. Die Felder müssen im richtigen Moment gespielt werden, damit Musik entsteht.

Die Teilnehmer des Digital Ensembles haben alle bereits mindestens ein Instrument gelernt. Es ist aber Teil des Konzeptes, dass sie sich auch an Instrumentengattungen probieren können mit denen sie noch keine Erfahrung haben. Denn genau hier liegt die Stärke der Appmusik: Leicht und spielerisch können die verschiedenen „Instrumente“ zum Klingen gebracht werden. Kein wochenlanges Üben, bis der erste Ton sauber klingt. Viele der Apps sind intuitiv und leicht zu bedienen. Und wenn das Feuer erstmal entfacht ist, wächst die Lust auf mehr Individualität und Gestaltungsfreiheit. Dafür müssen die Schüler ihre musikalischen Fähigkeiten auf den App-Instrumenten verfeinern. Schritt für Schritt und von ständigen Erfolgserlebnissen begleitet, weil die Töne (fast) nie schief klingen.

Mit Apps ins Rampenlicht

Mit dem Auftritt vor Augen haben die Jugendlichen ständig ein Ziel, auf das sie hinarbeiten. Das ist toll für die Motivation und bildet einen runden Abschluss für das Projekt. Meine Erfahrungen als Bandcoach haben oft gezeigt, dass Schüler deutlich konzentrierter an der Umsetzung ihrer musikalischen Ideen arbeiten, wenn der große Auftritt bevorsteht. Wenn aber immer nur zielstrebig und konzentriert „gearbeitet“ wird, bleibt der Spaß schnell auf der Strecke. Dass genug Platz zum Experimentieren und Rumalbern bleibt und trotzdem ein aufführungsreifes Ergebnis entsteht, ist daher eine meiner Hauptherausforderungen als Pädagoge. Schließlich soll das Lernen Freude machen!

Mit iPads ein gutes Konzert zu inszenieren ist gar nicht so leicht. Die Musiker müssen die ganze Zeit auf ihre Bildschirme schauen um nicht daneben zu tippen, große Gesten sind kaum möglich und der Anblick der Instrumente ist für das Publikum auch nicht sonderlich reizvoll.

Vier Proben bis zum Konzert – Der Ablauf meines Projektes

  1. Probe:

    Zeit um sich auf einen Sound und die gewünschte Stilistik des Stücks zu einigen. „Ein bisschen elektronisch darf es klingen. Aber nicht zu aufdringlich!“ Da die Sängerin, die kein iPad bedient, bei der ersten Probe wegen Krankheit fehlte, konnten die anderen beiden in Ruhe die Apps erforschen und die unterschiedlichen App-Konzepte ausprobieren. Die Entscheidung fiel auf DM1 als Rhythmus-App und Soundprism zum Harmonien spielen. Beide Apps werden Live bedient (also ohne Loops) weil die Schülerinnen musikalisch bereits fit waren. Der Sound sollte also etwas elektronisch und eher behutsam sein. Die Schülerinnen haben diesbezüglich einiges ausprobiert. Eine finale Entscheidung wurde aber vertagt, damit auch die Sängerin eingebunden werden kann.

  2. Probe:

    Für das Einstudieren der Abläufe war die zweite Probe vorgesehen. Hier konnten die Schülerinnen auch ein Gefühl dafür entwickeln, welche Probleme sich beim gemeinsamen Musizieren ergeben und in der Gruppe Lösungen erarbeiten. Im Zentrum stand die Frage, wie sich der Songablauf mit Spannung gestalten lässt. Es wurden tolle Wege erarbeitet. Reduktion war ein wichtiges Stichwort. Denn wenn im Song mal weniger und mal mehr passiert, klingt er auch abwechslungsreicher.

  3. Probe:

    Die dritte Probe soll hauptsächlich dafür genutzt werden, eine bühnenreife Aufführung zu gestalten. Was macht eine gute Inszenierung aus? Wen sprechen wir mit unserer Musik an? Wie wollen wir wahrgenommen werden? Welche Mittel gibt es um unsere Aussage zu unterstreichen? Diese Fragen hatten wir am Ende der zweiten Probe bereits angerissen, damit sich die Schülerinnen auch daheim Gedanken dazu machen konnten. Allerdings war es dann in der dritten Probe doch wichtiger, den Song noch einige Male zu üben. Letzte Unklarheiten konnten beseitigt werden und das Arrangement wurde noch deutlich verbessert. Für die Mädchen, die noch keine Banderfahrung hatten, ist es garnicht so leicht sich den Ablauf zu merken. Und irgendwann brach dann eine Diskussion darüber los, was das mit den iPads denn eigentlich soll. „Warum nicht gleich mit richtigen Instrumenten? Auf diesem Touchscreen kann man garnicht richtig laut und leise spielen. Und wenn man nicht mal Akkorde lernen muss um ein Lied zu spielen, ist das doch auch bekloppt!“ Plötzlich war die Idee geboren, das Konzert zu sabotieren. Einfach total durchzudrehen auf der Bühne und eine riesen Party daraus machen. Mit Konfettikanone und alle Zuschauer werden auf die Bühne geholt! Mit diesen gedanken endete die Probe. Und mit der Erkenntnis, dass soetwas auch vorbereitet werden muss. Das war dann also die Aufgabe bis zur nächsten Probe in zwei Wochen…

  4. Probe:

    Der Party-Plan wurde per WhatsApp verworfen. Aber was blieb, war der Wunsch sich „irgendeine Art von Performance“ zu überlegen. „Damit es nicht langweilig wird.“ Weil der Song ziemlich ruhig und auch ein bisschen kitschig ist, wurden Lichterketten vorgeschlagen. Und wenn wir schonmal dabei sind, gleich auch noch Knicklicht-Armbänder. Und die beiden Mädchen mit den iPads setzen sich auf den Boden. Dann wird die Stimmung beim Konzert automatisch ein bisschen gedämpft. Diese Ideen wurden bei der vierten und letzten Probe besprochen und bis zum Konzert wurde alles besorgt und vorbereitet. 2-3 Songdurchläufe gab es bei der Probe aber auch noch.

    Der Auftritt

    „Die Bühne ist auf jeden Fall viel zu hell! Jemand muss das Licht dimmen, wenn wir dran sind.“ In den Stunden vor dem Auftritt wurden noch allerhand technische Details ersonnen und organisiert. Außerdem haben die Schülerinnen den Song auch noch einmal durchgespielt, damit nicht’s schief geht. Alles in Eigenregie…

    Digital Ensemble von Gregor Steinbrecher Live

    Gedämpftes Licht für die Elvis Presley Ballade „Falling In Love“

Das Konzert ging dann super über die Bühne. Die Stimmung ist auf das Publikum übergesprungen und der ein- oder andere Verspieler wurde gern verziehen.

Zwischen Schlagzeug und Gitarrenverstärkern tanzen die iPads auf der Bühne definitiv aus der Reihe. „Digital ist besser“ muss nach der Veranstaltung niemand sagen. „Digital ist anders“ ist doch aber schonmal eine wertvolle Feststellung. Und die Erkenntnis, dass Tablets und Smartphones ganz eigene Möglichkeiten bieten, Musik zu entdecken und zu erlernen – mit einem anderen Zugang als Klavier, Gitarre und Co.

Fazit

Die Gespräche mit den Jugendlichen haben mir gezeigt, dass ihnen das Projekt Spass gemacht hat. Einen Einblick in das Musizieren mit iPads zu bekommen, fanden alle spannend. Es gab aber auch kritische Töne. Die Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Appmusik in der dritten Probe hat uns deutlich die Grenzen dieser Technologie in der kulturellen Bildung vor Augen geführt: Die Vorteile liegen klar im niederschwelligen Zugang zur Musik und in den Gestaltungsmöglichkeiten auf der Soundebene. Wenn aber zum Soundtüfteln die Zeit zu knapp ist und die Schüler bereits Instrumente spielen können (und die dynamischen Audrucksmöglichkeiten kennen) kann das iPad auch als Hindernis empfunden werden. Umso wichtiger ist es, die Zielstellung eines Projektes, das Konzept sowie die Zielgruppe besonders gut an den Möglichkeiten der Appmusik auszurichten. Für mich sind die wahren Erfolge des Projektes aber, dass Schülerinnen zwischen 12 und 16 Jahren über die Sinnhaftigkeit von iPads als Musikinstrument diskutieren und dass die drei Mädchen, trotz des großen Altersunterschiedes, einen kollegialen, verantwortungsvollen und freundschaftlichen Umgang miteinader gefunden haben.

Gregor Steinbrecher ist Schlagzeuger und Dozent für digitale Musikproduktion mit Ableton Live. Als Drummer steht die Umsetzung elektronischer Musikproduktionen im Zentrum seiner Arbeit.
Er hat Medientechnik und Schlagzeug studiert und den Popkurs an der Hochschule für Musik in Hamburg absolviert.


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