Musik ohne Instrumente – ein inklusives Appmusik-Projekt in der Grundschule
In Vorbereitung auf eine 5-tägige Projektwoche an unserer Grundschule mit dem Slogan Forschen und Experimentieren hatte ich (Sonderpädagogin und Musiklehrerin) die Idee, auf unseren iPads mit Musikapps zu experimentieren und mit den Kindern nach neuen Klängen zu forschen. Dafür habe ich mir ein Gerät ausgeliehen und mich zum ersten Mal intensiver mit dem Angebot an Musikapps (iOS-Versionen für Apple) beschäftigt. Die Berichte im Blog app2music.de waren dabei sehr nützlich. Als kleines Dankeschön möchte ich jetzt von meinen Erfahrungen berichten.
// Autorin: Dr. Elke Köllmann (Bremen)
Vorbereitung auf eine heterogene Gruppe
Obwohl die Projektwoche an unserer Schule unterschiedliche sogenannte `Projekte´ zur Auswahl vorsah, plante ich für die 5 Tage nur `projektorientierte´ Aktionen zum Thema Musik ohne Instrumente, denn eine Planungsphase zusammen mit den Kindern fiel aus Zeitgründen weitestgehend aus. Als Musiklehrerin an einer inklusiven Grundschule stellte ich mich also in meiner Projektplanung auf eine heterogene Schülerschaft ein; d.h. ich suchte auch nach Angeboten für Kinder mit Sprach- und Verhaltensauffälligkeiten und Lernbeeinträchtigungen bzw. Entwicklungsverzögerungen. Die Inhalte sollten so offen und anschlussfähig sein, dass sich alle Teilnehmenden angesprochen fühlten.
Nach Kersten Reich (s. Inklusive Didaktik 2014, S.208 f.) suchte ich nach aktivierenden Methoden mit Zugängen auf unterschiedlichen Niveaus – gerade auch im kinästhetischen Bereich. Die musikbezogenen Angebote mit und ohne iPad sollten sowohl kreative als auch nachvollziehende Elemente enthalten. In Partner- und Gruppenarbeit waren Aufgaben für `Experten´ vorgesehen, die ihre Vorerfahrungen zur Anleitung der Anderen nutzen konnten. Ebenso musste ich an Rückzugsmöglichkeiten für ruhebedürftige Kinder denken und genug Zeit und entsprechende Medien zur Präsentation der Gruppenergebnisse einplanen.
Meine Musikapp-Auswahl
Zunächst fand ich nach einer längeren Recherche- und Ausprobierphase folgende Musikapps, die mir geeignet erschienen: TC-Performer, Musyc und Singing Fingers. Sie sind (fast alle) kostenlos zu installieren und ersetzen nicht herkömmliche Instrumente, sondern bieten ganz eigne musikalische Gestaltungsmöglichkeiten und erweitern das gewohnte Klangspektrum immens. Sie boten eine ganze Bandbreite an Spielformen, womit die Kinder sich musikalisch betätigen könnten, ohne die differenzierten Spieltechniken von herkömmlichen Musikinstrumenten erlernen zu müssen.
- Die App TC-Performer stellt 6 Klangrichtungen zu Verfügung, in denen durch feinmotorische Bewegungen improvisiert werden kann. Mehrere Kinder fahren dabei mit ihren Fingern auf der Oberfläche umher; die dabei entstehenden Grafiken (Striche, Kreise, Wellen etc.) visualisieren die musikalischen Parameter (hoch-tief, schnell-langsam, viel-wenig, laut-leise). So können die Kinder auf der Spieloberfläche mit Klängen experimentieren und unterstützt durch visuelle Elemente bewusst Klänge steuern.
- Die Musikapp Musyc lädt die Spieler/innen zur Komposition auf bildlicher Ebene ein: Grafische Elemente werden zu beweglichen Mustern zusammengestellt: Formen tanzen und treffen dabei auf Ebenen. Jeder Kontakt wird hörbar, wobei die Klangauswahl von dem Kind selbst getroffen werden kann.
- Mit der App Singing Fingers werden Stimmen oder Klänge aus der Umwelt aufgenommen und in den dabei entstandenen bunten Fingerspuren gespeichert. Fährt man mit der Hand entlang dieser Spuren oder reibt über der Oberfläche, können die Aufnahmen gezielt manipuliert und verfremdet werden.
Technische Ausrüstung
Zur Vorbereitung der Projektwoche gehörte nicht nur die Installation der beschriebenen Apps, sondern auch die Beschaffung von Zusatzmaterial wie Kopfhöreranschlüsse, denn die Kinder sollten zu zweit oder in Gruppen an den iPads arbeiten können. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich die (höhere) Investition in 5-Wege Audiosplitter lohnt: Damit können bis zu 5 Kinder an einem iPad zusammen arbeiten. (Die etwas billigeren Y-Klinken-Adapter blieben in den iPad-Anschlüssen stecken oder brachen sogar ab.) Ein ordentlich klingender Lautsprecher und ein Beamer waren für die Präsentation der Gruppenergebnisse vorgesehen. Für die Projektwoche standen uns 10 iPads zur Verfügung, die täglich an die Ladestationen angeschlossen wurden. Außerdem konnten wir uns auf einen guten WLAN-Zugang verlassen, wodurch die kollaborative Projektarbeit unterstützt wurde.
Konzeption der Projektarbeit
Für das Projektangebot konnte ich schließlich noch eine Kollegin gewinnen: Als Musiklehrerin war ich für die musikalisch-technische Leitung und die Bewegungsangebote zuständig, meine Kollegin konnte als Kunstlehrerin die künstlerischen Angebote einbringen. In der Hälfte der Wochenstunden konnten wir gemeinsam als Team die Gruppen- und Partnerarbeit begleiten. Da wir über den Luxus von zwei Klassenräumen verfügten, war genug Platz für einen Stuhlkreis, mehrere Arbeitsplätze der Partner- und Gruppenarbeit, für einen großen Gruppentisch (Kunstaktionen und gemeinsames Frühstück) und es blieb natürlich viel Raum zur Bewegung.
Auf Anregung einer Projektbeschreibung sollten die Schülerinnen und Schüler der 3. und 4. Klassen das Projekt anwählen können. Es hat sich bewährt, dass man sich mit den teilnehmenden Kindern einige Tage vor der Projektwoche trifft, auf dem ein erstes Brainstorming zu den Erwartungen und Vorerfahrungen stattfindet. Außerdem wurde ein Brief an Teilnehmende verteilt, der auch die Eltern über das Projekt informierte.
Die Tageseinteilung (Montag bis Freitag von 8 bis 13 Uhr, Schulfest Freitagnachmittag) war so strukturiert, dass eine regelmäßige Abwechslung von Plenumsphasen, Partnerarbeit und Gruppenaktivitäten möglich waren:
- Tagesbeginn mit Warm-ups (Begrüßung, Bewegung, Kennenlernen)
- Übersicht über die Tagesaktivitäten
- vielsinnige Gruppen- und Partnerspiele zur Vorbereitung auf die Arbeit an den iPads
- Einführung bzw. Wiederholung von Anwendungstechniken der Apps
- Frühstücks(-buffet) und Hofpause
- Partner- und Gruppenarbeit an den iPads
- Präsentation der Ergebnisse
- Hofpause
- Kunstaktionen am Gruppentisch
Durchführung der Projektwoche
Der erste Projekttag begann natürlich mit der Sammlung persönlicher Erfahrungen mit digitalen Medien und den Erwartungen der Teilnehmenden (9 Jungen und 7 Mädchen aus vier 3. und 4. Klassen). Bereits hier zeigte sich die Heterogenität der Gruppe; während wenige weder Handy, Smartphone oder Tablet zur eigenen Verfügung hatten, waren die meisten Kinder gut vertraut mit Spielen, der Google-Suche und Musikangeboten auf YouTube (ein Junge kannte auch das Programm GarageBand auf seinem iPad). Aus meinem Musikunterricht kannte ich auch mehrere Schüler/innen, bei denen Verhaltensauffälligkeiten zu erwarten waren – schnelle Ermüdung, kurze Aufmerksamkeitsspanne, niedrige Frustrationstoleranz und ein starkes Bedürfnis nach Bewegungspausen. Ein Kind mit Autismus-Spektrum-Störungen war mir als sehr musikaffin bekannt; wie ich wusste, brauchte es zur Mitarbeit aber eine ruhige und klare Ansprache, regelmäßige Tagesstrukturen und eine gute Vorbereitung auf mögliche Veränderungen.
Vor der Arbeit an den iPads wurden von der Gruppe Regeln zum Umgang mit iPads auf einem Plakat zusammengestellt: vorsichtige Bedienung – Lautstärke nicht zu laut – keine anderen Apps verwenden. Für die Gruppenarbeit wurden Rollen bzw. Funktionen festgelegt, sodass jeweils ein Kind für die technische Seite zuständig war (Hoch- und Herunterfahren des iPads und Aufrufen des Programms) und ein anderes Kind die `Schriftführung´ des Klangtagebuches übernahm.
Das Angebot an Aktionen zur Musik ohne Instrumente war so ausgewählt, dass viele Sinne angesprochen wurden (besonders auch Bewegungsangebote für Kinästhetik und vestibuläre Wahrnehmung) und niveauorientiert nachahmende bis kreative Handlungen möglich waren. Vielfältige Musikalische Primärerfahrungen (vgl. Krebs/Godau 2016) mit klingendem Material wie Glöckchenbälle, Möbel und Geschirr oder Bestecke und Essstäbchen wurden der Arbeit an iPads vorangestellt. So konnte jedes Kind mit Hilfe der eigenen Stärken individuelle Lernzugänge zum Thema finden:
Klang bildlich gestalten
Die Verbindung mit Kunstaktionen hat den kreativen Aspekt des Projekts entscheidend erweitert; Bewegung wurde am iPad nicht nur in Klang umgesetzt, sondern am Maltisch auch in Form und Farbe übertragen. Zum Beispiel haben mich die bunten Bewegungsspuren bei der App Singing Fingers direkt an sogenannte `Kratzbilder´ erinnert:
Nachdem die sehr kreativen Beispiele – allerdings aus vorgefertigten bunten Formen – auf dem iPad gespeichert warten, konnten die Teilnehmenden aus Papier und Pappe eigene Designs zusammenstellen.
Angelehnt an das Hintergrunddesign der App TC-Performer beschäftigten sich die Kinder mit Parallelen in senkrechten und waagerechten Strukturen und gelangten u.a. zu folgenden Ergebnissen:
Um Ideen für Improvisationen mit Musikapps zu erhalten, sind wir andererseits auch vom Bildlichen ausgegangen. Gruppen von jeweils drei Kindern suchten sich ein Landschaftsfoto (große Kalenderbilder) aus und nahmen es als Anlass für ihren musikalischen Ausdruck von der Stimmung des Bildes. Einige Kinder stellten auf dem iPad etwas dar, das man möglicherweise in ihrer Landschaft hätte hören können, wie z.B.:
Titel: Start und Landung eines Flugzeugs
Titel: Es bläst ein kalter Wind
Titel: Vogelgezwitscher auf der Wiese
Präsentation auf dem Schulfest
Der letzte Projekttag wurde zur Vorbereitung des Schulfestes genutzt. Die in der Woche entstandenen Bilder wurden gesammelt und Leinwände geklebt, die iPads aufgeladen, Kopfhörer angeschlossen und den Apps `Experten´ zugeordnet. Sie waren am Nachmittag an bestimmten Zeiten zuständig, die Besucher in die Apps einzuführen und anzuleiten. Die offenen Stationen wurden dann auch eifrig besucht und die Eltern ließen sich von Ihren Kindern in die verschiedenen Spielweisen der Musikapps einweisen. Viele Besucher und deren Eltern waren von den Möglichkeiten der vorgestellten Musikapps so beeindruckt, dass sie sich die Namen notierten, um selbst damit zu arbeiten.
Fazit der Projektwoche
Die Auswahl der Musikapps (TC-Performer, Musyc, Singing Fingers) ist dem Anspruch, die Klangerfahrungen mithilfe digitaler Medien der Kinder zu erweitern, gerecht geworden. Da die Apps schnell zu durchschauen sind, aber auch vielfältige Klangexperimente ermöglichen, konnten die Kinder in kleinen Teams kreativ und einzeln arbeiten. Das Handlungsangebot hat alle Schülerinnen und Schüler angesprochen; auch die Kinder mit Beeinträchtigungen haben auf ihre Weise gestaltend mitgewirkt; das Hörbeispiel Start und Landung eines Flugzeugs wurde von dem sehr musikalischen Kind mit Autismus-Spektrum-Störungen angefertigt. Leider haben technische Probleme (Beamer tageweise kaputt, Kopfhöreranschlüsse verstopft, Systemabstürze an iPads) die Projektarbeit unnötig erschwert – aber auch dafür haben wir durch die gute kollegiale Kooperation schließlich immer Lösungen gefunden.
Matthias Krebs ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berlin Career College der Universität der Künste Berlin. Der Diplom-Musik- und Medienpädagoge arbeitet an mehreren deutschen Musikhochschulen als Lehrbeauftragter und ist mit Fortbildungsangeboten und Workshops sowohl in der Erwachsenenbildung als auch in der Kinder- und Jugendarbeit seit 2011 aktiv. Matthias Krebs leitet den Weiterbildungskurs tAPP.
Danke für den tollen Bericht. Ich bin immer nach der Suche nach spannenden Projekten mit meinen Schülern und habe ein solches App-Projekt bislang für zu kompliziert gehalten. Du hast mich vom Gegenteil überzeugt. Ich hoffe, wir können so etwas an unserer Schule auch bald ausprobieren.
Super Thema!
Ich finde es sehr spannend, unterschiedliche Sinneseindrücke miteinander zu kombinieren. Die Schüler haben sicherlich auch wahnsinnig Spaß bei solch besonderen Projekten.