“Wir Klang-Kuratoren” – Die eigene Soundcollage mit Apps

Cyrus | 1. März 2017

Eine Klangcollage mit Sounds aus dem beruflichen oder privaten Umfeld erstellen, mit der Technik umgehen lernen, vier verschiedene Apps verstehen und miteinander verzahnt benutzen können und zum Schluss eine Live-Performance als Gruppe mit den eigenen verfremdeten Samples geben: Das waren die Ziele meines Workshops.

„My Surroundings“ – Unerhörte Klänge in Dingen des Alltags

Ein weiteres, übergeordnetes Ziel des Workshops war die oft vorhandene Hemmschwelle von „Nichtmusikern“ abzubauen, die in deren Bewußtsein verankert ist, kein Instrument spielen und keine Noten lesen zu können. Klängen und Sounds sollte sich möglichst intuitiv genähert werden können. Dazu sollten die Teilnehmer eigene Sounds aus ihrem alltäglichen Umfeld aufnehmen (“my surroundings”), was neben dem Verstehen der Aufnahmetechnik außerdem eine hohe Identifikation mit den individuellen “Klängen in Dingen” bot, die so vorher evtl. ungehört waren. So verbrachte einer der Teilnehmer viel Zeit mit den verschiedenen Sounds, die seine Wohnzimmerheizung nach entsprechender Behandlung hervorbrachte. 😉

“Muss ich Musiker sein, um mitzumachen?”

Musiktheoretische Kenntnisse oder die Fähigkeit ein Instrument zu spielen waren also nicht wichtig. Eher die Offenheit, sich selber ausprobieren zu wollen, seiner eigenen -vielleicht bislang unbewussten- Klangwelt nachzugehen und die Lust, diese mit den anderen in kleinen Jam-Sessions zu teilen standen bei meinem Projekt im Vordergrund. Der Workshop „Wir Klang-Kuratoren“ richtete sich an interessierte Jugendliche oder Erwachsene, die idealerweise schon erste Erfahrungen mit der Touch-Bedienung von Tablets hatten. Es nahmen schließlich drei Erwachsene teil.

Klanguniversum mit den Apps Loopy, Samplr und Audioshare

Die App Loopy HD eignet sich besonders für z.B. eher längere Loops aus Umweltgeräuschen, die mit unterschiedlichen Längen der (unsynchronisierten) Tracks quasi „polyrhythmisch“ abgespielt werden können. Dazu gab es Praxisübungen mit von mir bereitgestellten Klangquellen, wie Melodica, Rainmaker, Gedichtbuch, Radio oder was an Geräuschquellen im Atelier zu finden war.

Klangquellen für Loopy und Samplr

Praxisübungen mit Loopy und geeigneten Klangquellen

Die App Samplr lässt unmittelbares und kreatives Eingreifen in die Samples zu, vor allem durch den Einsatz der verschiedenen Playmodi, wie “Bow”, “Keyboard”, “Tape” oder “Arpeggiator”. In Kombination mit Echtzeit-Tonhöhenänderungen, Effekten, dem Aufnehmen von Gesten oder sogar Re-Sampling der Klänge kann die App zum Instrument werden.

Als hilfreiche Tools kamen die Apps „Audioshare“ und „Link to Midi“ zum Einsatz. Audioshare für die Verwaltung und das Aufnehmen von Audiodateien, außerdem für Im- und Export, Schnitt und Konvertierung (z.B. von MP3- zu WAF-Dateien, sodass auch Samplr die Audiofiles importieren kann). Die kostenlose App Link to Midi ermöglicht, den relativ „alten“ Samplr mit der komfortablen und modernen Möglichkeit der Synchronisierung aller iPads über das kabellose (Ad Hoc-)Netzwerk auszustatten.

Apps wie Samplr, kombiniert mit der Möglichkeit des iPads, direkt haptisch die Wellenform der Samples „kneten“ zu können und diese in Echtzeit – synchron oder unsynchron – zu manipulieren, begeistern sofort und sind prädestiniert zum spielerischen Umgang mit Klängen, Tönen und Geräuschen.

Audioshare - Verwaltung aufgenommener oder importierter Samples

Die Apps Audioshare & Samplr – Organisation und Improvisation schließen sich nicht aus

Beamer, Boxen und Co.

Zum technischen Einsatz kamen ein Beamer, Aktivboxen, diverse kleine Musikinstrumente und Klangmaterialien, Belkin-Sterne zur Audioverbindung der iPads, ein Handy-Rekorder, ein Lavalier-Ansteckmikrofon für 12,- Euro, ein hochwertiges iOS Stereo-Mikrofon mit Apple Lightning-Anschluss und ein Macbook Pro zum Erstellen eines Ad-Hoc Netzwerkes, so dass die Teilnehmer auch über die Ableton-Link-Technologie gesynct im Takt spielen konnten.
Ein Ad-Hoc-Netzwerk gewährleistet unter Apple-Geräten (Macbook Pro zu iPad) eine schnelle Funkverbindung, auch ohne die Möglichkeit eines Internetzugangs.

Ort der Inspiration

Bei der Raumwahl habe ich mich für die Atelierwerkstatt eines befreundeten Lichtkünstlers entschieden, der in dem gleichen Künstlerhaus wie ich arbeitet.
Bunte Lichtobjekte an den Wänden, Spezialwerkzeug überall, winzige elektronische Bauteile und LEDs auf den umliegenden Arbeitstischen zeugen von Tatendrang und Leidenschaft, kurzum: die beseelt-kreative Atmosphäre in der Werkstatt wurde als sehr förderlich zum Lernen und Improvisieren empfunden! Auch der nicht zu große Raum war für unsere kleine Gruppe mit vier Erwachsenen ideal.

Workshop im Lichtlabor

„Musique Concrète“ im Lichtlabor – Vom Schallereignis zur abstrakten Klangverfremdung

Struktur des Workshops

Der Workshop fand an zwei Terminen à 4 Stunden statt:

In Teil 1 ging es um die Vorstellung der App Loopy HD mit ihren recht komplexen Einstellmöglichkeiten. Dazu wurden Einsatzbeispiele betrachtet, wie Loopy als „Stompbox-Sampler“ für Gitarristen mit einer umgebauten Tastatur als Fußpedal oder eben in unserem Fall als Loop-Player für die erstellten Aufzeichnungen von Umwelt- und Umgebungsgeräuschen (Fieldrecordings).

USB-Tastatur als Footcontroller für Loopy

Bei unserem “Klangcollagen”-Workshop nicht benutzt, dennoch kurz erwähnt, falls jemand später die Hände beim Looping frei haben will: Das günstigste Fußpedal für Loopy. Achtet darauf, dass die Würfel möglichst leicht sind und der Kontaktkleber möglichst gut!

Bevor es an die Praxisübungen ging, unterhielten wir uns über das „Wesen von Loops“. Wo gibt es Loops, bzw. Wiederholungen im Alltag? Welche Arten von Loops tauchen in der Musik auf? Es wurden kurz andere Looper-Apps vorgestellt: Everest, Ostinator, Strom und natürlich Samplr, der im 2. Teil zur Anwendung kam. Da es bei unserem Workshop um Klangcollagen ging haben wir u.a. in das Stück „Etudes aux Chemins de Fer“ (Studie zu Eisenbahnen) von Pierre Schaeffer hineingehört, dem Wegbereiter dieses Genres und Erfinder der „Musique Concrète“ in den 50er Jahren.

Auch die damaligen Techniken einiger Bandmaschinen-Helden, wie Robert Fripp oder Brian Eno wurden diskutiert und Tonbeispiele gehört. Schnell wurde klar, wie einfach zumindest der Zugang heutzutage ist, um komplexe, experimentelle und individuelle Musik zu machen. Oder hat jemand mal eben zwei Revox-Bandmaschinen zur Hand, um die Länge unseres aufgenommenen Loops variabel zu gestalten …?

Spaß an Improvisation – “Drumbox”

Nun sollte die App Loopy HD nicht mehr, wie zuvor, mit voneinander zeitunabhängigen Tracks genutzt, sondern mit der Möglichkeit der „Track Synchronisation“ experimentiert werden. Dazu sollten die Teilnehmer eine eigene „Drumbox“ erstellen. Entweder mit Mundgeräuschen oder mit „Perkussionsinstrumenten“, die sie im Atelier fanden.
Sechs Tracks in Loopy sollten mit unterschiedlichen kurzen Sounds (erinnernd an Bassdrum, Snare, Hihat, etc.) gefüllt und dann synchron abgespielt werden, z.B. mit ¼-, ⅛- und 1/16-Takten im Verhältnis zu 120 BPM (beats per minute). Eine durchgehende 16tel-Hihat beispielsweise wäre also am einfachsten darzustellen, indem eine Art Zischsound mit einem sehr kurzen, auf 1/16tel eingestellten Track aufgenommen wird. Durch diese Methode kamen drei sehr unterschiedliche und individuelle „Drumboxes“ und Rhythmen zustande, obwohl keiner der Teilnehmer besondere Beatboxer-Qualitäten hatte.
Ein musikalisches Aha-Erlebnis gab es, als alle drei „Drumboxes“, bzw. iPads über die von Loopy unterstützte Technologie “Ableton Link” synchron im Takt liefen und die Sounds der Musizierenden sich so rhythmisch schichteten und ergänzten.

Die Apps Audioshare, Link to Midi, Loopy HD und Samplr

Audioshare, Link to Midi, Loopy und Samplr – Apps für die Insel (mit Steckdose an den Palmen)

Am Ende des 1. Teils gab es eine Hausaufgabe:

  • Eigene Aufnahmen mit iPad (+ internem Mikro, Lavalier-Mikro oder Stereo-Mikro und der App Audioshare) oder Handyrecorder erstellen
  • ca. 3-4 Klang-Ereignisse, insgesamt nicht länger als 2 Minuten
  • Thema: „My Surroundings“

Durch die Hausaufgabe sollten die Teilnehmer den Umgang mit der Technik (s.o.) im Alleingang ausprobieren und Klänge in ihrem eigenen Umfeld finden. Eine Handlungsalternative zur Hausaufgabe, wäre während des Workshops für ca. eine Stunde mit iPad, Mikro oder Handyrecorder draußen Klänge sammeln zu lassen. Allerdings: bei -3 Grad und Hamburger Regen hätte das wohl für schlechte Laune gesorgt … 🙂

Im zweiten Teil wurde kurz zusammengefasst, was bisher gelernt wurde und dafür ging es erstmal mit Loopy-Praxisübungen los. Die häuslichen Fieldrecordings zweier Teilnehmer kamen auf einer SD-Karte und einem USB-Stick an und wurden über die hilfreiche Funktion „WiFi-Drive“ in Audioshare per Ad-Hoc-Netzwerk auf die iPads geladen.

Hier ein Video-Überblick der App Samplr auf deutsch von mir:

Nach dem Kennenlernen der Möglichkeiten von Audioshare als Audio-Verwaltungstool, beschäftigten wir uns mit Samplr: Ich demonstrierte mit Hilfe des Beamers die verschiedenen “Play-Modes” der App, also die Möglichkeiten, ein Sample kreativ abspielen zu können. Danach sollten die Teilnehmer drei identische Demo-Samples plus ein zuvor zu Hause erstelltes Sample in freie Slots von Samplr laden, mit den Sounds herumexperimentieren und ihr Ergebnis kurz vorstellen.

Schon spannend, wie unterschiedlich identische und zudem sehr kurze Samples in der musikalischen Darbietung sein können!

Daniel, Franko und Marek

Und jetzt zu dritt …

Zum Schluss sollten Daniel, Franko und Marek ein live improvisiertes Konzert geben. Sie sollten sich über Kopfhörer gegenseitig ihre Fieldrecordings vorstellen und sich ein Anfang, ein Ende und ggf. auch eine Dramaturgie für das ca. 4-minütige Konzert überlegen. Dafür konnten sie Samplr, Loopy und Link to Midi benutzen.

Die aufgenommenen Performances sind hier zu hören:

„Wahnsinn, was ich mit so einem Tablet musikalisch machen kann!“

… begeisterte sich Daniel am Ende.

Es gab Situationen, in denen die Teilnehmer vor Selbstvergessenheit gar nicht merkten, dass sie spielerisch ihre Grenzen erweiterten und ganz persönliche Klangvorlieben entdeckten. 😉 Den “Flow” im Experimentieren und Musizieren mit den zuvor erstellten eigenen Klängen zu beobachten, bestätigte eins meiner Ziele: Dass die verwendete Technik keine Barriere zum Musikmachen darstellen soll.
Das “Instrument iPad” mit den ausgewählten Apps soll im Grunde einfach, ohne große Vorkenntnisse und intuitiv zu verstehen sein, damit der Raum und die Konzentration auf die Inhalte, nämlich die Sounds und Geräusche und deren Verfremdung, bestehen bleibt.

Nicht so ideal empfand ich im Nachhinein, dass ich teilweise zu viel vorgemacht habe, z.B. beim Demonstrieren der einzelnen Play-Modes in Samplr mit Hilfe des Beamers. Das hätten wir besser zeitgleich zusammen erkunden können. Außerdem würde ich das nächste Mal unbedingt nicht nur die von mir ausgesuchten Musikstücke zum Thema Ambientmusik & Klangcollagen vorspielen, sondern die Lieblingsstücke der Teilnehmer in diesem Bereich hören und fragen, was genau sie daran berührt, musikalisch, technisch, etc.

Cyrus Ashrafi

Cyrus Ashrafi ist Hamburger Musiker, u.a. mit dem Live-Projekt „Days of Delay“ – Ambientmusik als „akustische Entschleunigung“ im Wechselspiel besonderer Orte.

daysofdelay.com

ist das instrumentale Live-Ambient-Musiker des Hamburg.


Eine Antwort zu ““Wir Klang-Kuratoren” – Die eigene Soundcollage mit Apps”

  1. Theresa Pasterk sagt:

    Hallo Cyrus, ich finde es wäre eine tolle Aufgabe für den Kunstunterricht in der Schule, Geräusche zu sammeln und daraus kleine Soundcollagen zu kreieren. Gerade jetzt im Lockdown. Leider finde ich keine geeignete App, die auch gratis ist, mit der die Schüler auch schnell und einfach arbeiten können. Hast du vielleicht eine Idee? Es soll ja möglichst einfach verständlich sein, damit die 16-17-jährigen auch Spaß dran haben.
    Für jeden Tipp wäre ich dir sehr dankbar!

    Die wasserperformance von Cage ist ja auch so toll 🙂

    Liebe Grüße,
    Theresa

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