Wir Klangforscher_innen oder: Der Soundtrack meiner Schule
Was macht die Geräuschwelt unserer Schule aus? Was sind das für Klänge, wie prägen sie uns in unserer täglichen Lernumgebung? Wie wird aus Klang konkrete Musik? Inspiriert hat mich hier auch Joachim Berendts Buch „Nada Brahma: Die Welt ist Klang“ über die spektrale Breite des Phänomens Klang und seiner universellen Bedeutung in unserer Welt. „Am Anfang war der Ton“ ist eben nicht nur ein mystizistischer Erklärungsversuch der Schöpfung aus archaischen Zeiten, sondern war schon immer, wissenschaftlich wie philosophisch, wichtiges Ausgangsprinzip für das Begreifen und letztendlich Erschaffen von Klang und Musik. Hier geht es natürlich nicht um ein tiefgreifende Behandlung als mehr um ein direktes Erlebnis, was der Lebensraum Schule zeigen kann.
Für mein Praxisprojekt im Rahmen des tAPP-Kurses habe ich mir eine kleine, schnuckelige Grundschule auf dem Land ausgesucht: die Emil- Naumann Grundschule in Sitten.Mitten in der ländlichen Idylle lernen hier ca. 100 Schüler_innen in einem recht freiem Format mit viel Raum für individuelle Entfaltung, auch Kinder mit Lernbehinderung und Autismus sind hier integriert. Zur Unterstützung ist mein Mitbebewohner Daniel mit dabei. Der Workshop fand (findet) über drei Wochen jeweils am Donnerstag im Rahmen des Musikunterrichtes in einer Doppelstunde der vierten Klasse statt. Sechs Schüler_innen wurden ausgelost (weil natürlich alle teilnehmen wollten) und in drei Zweiergruppen eingeteilt.
Wir wollen Geräusche und Klänge unserer Schule sammeln, mit ihnen spielen, sie modifizieren und dann mit Hilfe eines Gerüsts aus Beats und Melodien „den Soundtrack unserer Schule“ in einer Improvisation kreiieren. Das heisst wir haben einerseits das Abtasten und Erschaffen von Klängen, die wir digital verarbeiten und auf der anderen Seite vorgefertige Klänge in Form von konkreten Tönen und Rhytmen.
Ziele:
- Sensibiliserung des Phänomens Klang
- Die tägliche Umwelt neu entdecken und begreifen
- musisches Verständnis erweitern
- Improvisations und Arrangementkonzepte erproben
- Umgang mit neuen Medien und Apps
Werkzeuge:
Wir benutzen ein I-Phone, I-Pad , ein Samsung Pad und Zoom H2- Aufnahmegeräte. Jede der drei Gruppen beschäftigt sich mit jeder der drei Apps:
- „Samplr“ (iOS)
- “Auxy“ (iOS)
- „Simple Sampler“ (Android)
Am Ende soll zusammen im rotierenden System improvisiert werden, so, dass jede Gruppe jedes „Instrument“, jede App einmal gespielt hat. Es entstehen also drei „Songs“ in den verschiedenen Konstellationen, die am Ende in einer Performance vor der ganzen Klasse gespielt werden.
Verlauf:
1.Einheit: Klangforschen, Spielen, Improvisieren
- Austausch über das Thema „Klang und Geräusch“ und “Wie klingt unsere Schule?“
- Klangimprovisationsspiele
- Erstes klangliches Erforschen mit Handyrecordern
Als Ausgangssituation und zur Sensibilisierung des Themas wollten wir uns erstmal mit den elementaren Fragen beschäftigen. Was ist Klang und Geräusch? Welche Eigenschaften können sie haben? Wie nehmen wir sie wahr im alltäglichen Kontext? Was macht den Klang unserer Schule aus? Wir tauschten uns aus und sammelten alles in einem Tafelbild.
In der Mitte unseres Zirkels lagen schon Percussion-Instrumente und Alltagsgegenstände für zwei Spiele bereit: Einer in der Runde (uns inbegriffen) fängt an mit einem beliebigen Gegenstand, Instrument etc. (der ganze Raum konnte und sollte sogar voll genutzt werden) ein Geräusch vorzugeben. Langsam steigen alle ein und versuchen das Geräusch mit Hilfe einer anderen Quelle zu imitieren. Nach einer beschaulichen Dauer fängt der/die nächste in der Runde an langsam ein neues Geräusch in die Runde zu geben und alle anderen imitieren wieder, usw. die Runde herum. Nach anfänglicher Scheu kamen die Kinder immer besser rein und zögerten nicht mehr, versuchten sich an Gummibällen, Heizkörpern, Tafel, Klinken, Schlüsseln etc. und waren sehr bedacht und kritisch, was wohl ähnlich oder gleich oder sehr weit weg vom vorgegebenen Geräusch klingt. Jede_r sollte jede_n hören und wir konzentrierten uns auch darauf, was jeder Klang in der Runde denn bewirkt und ausmacht.
Die Spiele waren effektiv, um die Kids zu aktivieren und auf das Thema Klang einzuschwingen. Ausserdem war es mir persönlich auch ganz wichtig die Analogität und Natur des Klanges als Polarität zu digitalen Methoden mit einzubeziehen und „greifbar“ zu machen.
Wir hatten noch 45 der 90 Minuten Zeit. Es ging darum, sich selbst durch Schulhaus und Hof auf die Pirsch zu begeben und Klänge aus der Umwelt zu sammeln. Jede Gruppe hatte ein Zoom-Aufnahmegerät und einen Kopfhörerverteiler. Viel Unterstützung brauchte keine_r, denn die Vorstellungen waren klar und die Kinder waren begeistert, sich selbst und ihre Umgebung so laut und klar durch die Monitorfunktion der Aufnahmegeräte über Kopfhörer zu hören. Auch die Gruppendynamik funktionierte reibungslos und innerhalb der Gruppen wurde respektvoll miteinander geforscht und beim Aufnehmen abgewechselt. Jede Gruppe kam mit 15-20 Samples zurück. Die gesammelten Samples spielte ich dann nachträglich in die Loop-Sampler App „Simple Sampler“ über, da ich keine passende App für Android gefunden habe (wie z.b. Keezy für iOS) mit der man Aufnehmen und Loopen bzw. Abfeuern kann. Wenn ihr was kennt, bitte kommentieren) 🙂
2.Einheit: Und Apps so?
- Erforschen und Arbeiten mit den drei Apps
- Ausseinandersetzung mit Improvisations und Arrangement-Konzepten und wie diese angewandt werden können
Zum Start der zweiten Session lagen schon ein I-Phone mit der App „Auxy“, ein I-Pad mit dem Touch-Sampler „Samplr“ und die Sample-Loops in „Simple Samples“ auf dem Samsung-Pad bereit. Alle hatten Erfahrungen mit Tablets und es kam die Frage: „Hast du auch Spiele drauf?“. Musikapps kannte bisher keine_r der Kids.
Kernaufgabe und weiteres Element für „den Soundtrack unserer Schule“ war dieses Mal, dass jede Gruppe sich mit den drei Apps auseinandersetzt und unter dem Aspekt des Konzerts am Ende ein Gerüst zum Improvisieren entsteht. So können wir uns in der nächsten und letzten Session gleich am Anfang mit dem Gruppen-Arrangement auseinandersetzen und eine Generalprobe machen. Eine Gruppe machte sich nochmal mit „Samplr“ auf den Weg, um eine Bank von sechs Samples mit Geräuschen auf dem Gelände zu sammeln und diese dann mit den vielen verschiedenen Möglichkeiten zu verfremden. Durch die intuitive und spielerische Art kamen in allen Gruppen mit „ Samplr“ auch rasch Ergebnisse raus. Was ich bemerkenswert fand, war, dass trotz knapper Erklärung in kurzer Zeit der ganze komplexe Umfang der App mit all ihren Effekten, Resampling- Möglichkeiten usw. überlegt und gewählt genutzt wurde.
Eine andere Gruppe beschäftigte sich stattdessen mit „Auxy“ und bastelte am passenden Songgerüst mit Beat und Melodie für den Soundtrack. Die Kinder fingen an zu Wippen, Schaukeln und Tanzen und kommentierten mit: „geil, geil, geil“. Wir tauschten uns im Prozess darüber aus, was wichtig ist im Strukturieren und Komponieren von einem Song und wie wir den Klangcollagen mit unserem gebastelten Gerüst in der Improvisation Raum lassen können. Kratschige, hohe Melodien oder ein vollgepackter, rasselnder Beat würden viel Platz im Arrangment einnehmen. Stichwort war hier „Minimalismus“. Das lief teilweise zäher als gedacht, da der neue Kosmos Songarrangement in zwanzig Minuten Zeit mit kurzer Einarbeitungszeit zum Erforschen garnicht zu bewältigen schien. Hier musste zeitlich gepusht und unter die Arme gegriffen werden. Trotzdem waren die Felder in „Auxy“ recht voll, hihi.
Die dritte Gruppe experimentierte mit ihren Aufnahmen von letzter Stunde in „Simple Samples“ und schaffte sich mit ihren Sample- Loops mehrere Strukturen mit denen in ihrer Performance improvisiert werden kann.Ich hatte die Befürchtung, das die Aufgabe zu einfach ist und schnell ihre Energie verliert. Aber gerade hier zeigte sich, das sich entspannt mit dem Kontext auseinandergesetzt wurde und das Tablet auch mal weggelegt werden kann. Eine wichtige Erfahrung ,weniger ist mehr.
Nach 90 Minuten hatten dann alle drei Gruppen unter ziemlichen Zeitdruck mit jeder App ihren persönlichen Rahmen für das Konzert geschaffen. Es wäre jetzt besser gewesen, wenn wir gleich noch einen Probejam hätten machen können, um das Ziel nochmal mehr in den Fokus und ins Verständnis zu rücken. Schade, Zeit zu knappppp und Konzentration gen Ende.
3.Einheit: Der Soundtrack
Zur dritten Einheit kamen alle Teilnehmer_innen schon hochmotiviert ins Zimmer gesprungen, denn immerhin lagen die Winterferien zwischen den letzten Sessions und der Abschliessenden. Jetzt ging es hauptsächlich darum, die verschiedene Arrangements nochmal durchzugehen und alle drei möglichen Gruppenkonstellationen in einem strukturierten Jam zu erproben. Dafür gaben wir ein paar Fragen und Impulse in den Raum:
Hört jeder jeden und wenn nicht, wie erreichen wir das? Wie schaffen wir Abwechslung und Dynamik? Wie schaffen wir einen zeitlichen Rahmen, denn jede Gruppenkonstellation hat nur zwei Minuten für ihr Stück? Wir begleitetenden den Prozess aber nur ganz leicht, um soviel Selbstorganisation wie möglich zu erzeugen. Einige Probleme gingen wir zusammen an, unterstützten beim Zeitmanagement und gaben kleine Ideen zur Lösung von Arrangementproblemen. Die meiste Organisation übernahmen die Kids aber selbstständig. Es wurde sich drauf geeinigt, das wir Fingerzeichen geben, wenn nach einer gewissen Zeit Strukturwechsel in den Stücken stattfinden. Nach zwei Durchläufen waren wir dann auch schon in der Mittagspause angelangt. Lehrer und Kinder der dritten und vierten Klassen wurden schnell aquiriert, Licht gedimmt und dann gings ab mit der kleinen Präsentation.
hier ein kleiner Einblick:
„“Wuh“ „Yeah“ “ Was, das war’s schon?“ „Macht ihr das bald wieder mal, auch für die, die nicht teilnehmen konnten?“ „Ich brauch Auxy unbedingt!“
Einige Kids stürmten an den Tisch und liessen sich von den neuen Expert_inn_en gleich die Apps erklären und probierten aus. Fand ich ja superschön! 🙂 Alle Teilnehmenden und einige andere, die auch wollten, kriegten eine CD für zuhause mit ihren eigenen „Songs“. Ausserdem hatten wir auf Wunsch der Musiklehrerin noch Hand _Outs mit kostenlosen Apps vorbereitet.
Resümee in Stichworten:
- am Ende doch zu wenig Zeit, um sich mit gewissen Prozessen intensiver auseinanderzusetzen (Arrangement, Songstrukturen, Performance etc. ) Grund dafür war auch das technische Problem mit dem fehlenden dritten I – Pad
- mehr Zeit für Feedback und Reflektionsrunden einräumen
- besser dokumentieren
- das Ergebnis war trotzdem sehr gut und zufriedenstellend
- das Projekt hat Impulse gegeben für neue Projektkonzepte
Links:
Dokufilm über das Schaffen Joachim Berendts: http://www.dailymotion.com/video/xp7ira_joachim-ernst-berendt-die-welt-ist-klang_music
Mitwirkender im frisch gegründeten Verein „Pianora“ in Leipzig, der musikalische und kreative Angebote für Kinder aus sozio-ökonomisch benachteiligten Familien schafft. In den Kursen kommen auch Musik- Apps zum Einsatz.
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