Drums & Apps
– ein Percussionworkshop kombiniert mit iPad Instrumenten und Gesang
Als freie Musikpädagogin mit den Schwerpunkten Rhythmus und Percussion bin ich für drei Tage in das Kinder- und Jugendhaus in Neustadt am Rübenberge eingeladen. Es befindet sich mitten im Wohngebiet der Mehrfamilienhäuser des Bauvereins, in denen viele zugewanderte Familien wohnen. Die Tagesgruppe mit 7 Kindern im Alter von 7-11 hat sich Cajons angeschafft und möchte lernen darauf zu spielen. Die Gruppe wird von 3 Pädagoginnen betreut, ich treffe auf kulturell benachteiligte Kinder ohne musikalische Vorkenntisse und mit sozialen, emotionalen und geistigen Beeinträchtigungen.
In den vorbereitenden Gesprächen schlage ich vor neben den Cajons auch iPad-Instrumente und Gesang in die musikalische Arbeit zu integrieren, was bei den Erzieherinnen sofort auf großes Interesse stößt.
Tag 1
Als ich am ersten Tag ankomme, schallt mir aus dem Gruppenraum „Astronaut“ von Sido feat. Andreas Bourani entgegen. Die Anlage am Anschlag, alle Kinder singen lauthals mit und ich stimme direkt mit ein. Es ist einer der Songs, den ich für dieses Projekt vorbereitet habe: Auf Platz 1 in den Charts, vier Akkorde, rhythmisch durchgängige Viertel mit kleinen Variationen. Perfekt.
Was für ein gelungener Start.
„O.K., den Song spielen wir jetzt.“
„Wie, den spielen wir jetzt?!“
Und dann geht es direkt los. Welchen Beat hat das Lied? Ein Kind spielt ihn sofort auf dem Cajon alle anderen steigen ein, wieder singen alle den Refrain.
Um mit den Kindern Kontakt aufzunehmen und herauszufinden, auf welchem musikalischen und insbesondere rhythmischen Stand wir uns befinden, spielen wir jetzt erstmal ca. 30 Minuten auf den Cajons. Ich zeige ihnen erste Techniken und weitere Rhythmen. Wir kombinieren, solieren, spielen verschiedene Frage- und Antwortspiele. Spontane Ideen der Kinder – vom rhythmischen Break aus dem Fußballstadion, bis hin zu gesungenen Hooks aus bekannten Liedern – werden aufgegriffen und ins Spiel integriert. Und immer wieder der Refrain von „Astronaut“.
Die Kinder bekommen viel Raum zum Gestalten. Jeder mit dem was er/sie kann und sich zutraut. Alle sind aktiv beteiligt, es wird ihre Musik, ihr Song, ihr Auftritt und sie übernehmen Verantwortung. Das alles steht weit vor dem Anspruch etwas perfekt zu machen und ist einer der Schlüssel zu ihrer Lust am Lernen und zu ihrer hohen Motivation.
Nach einer kurzen Pause kommen die iPads ins Spiel. Ich habe zwei mitgebracht, die ich über meinen Akustikgitarrenverstärker anschließe.
Ich stelle den Kindern 3 verschiedene Apps vor: Garage Band, SoundPrism und Morphwizz. Zwischen Garage Band und Soundprism können sie nach belieben wählen, je nach Klangvorliebe. Lieber Gitarre oder Pianosound? Mit diesen beiden Apps werden die Akkorde rhythmisch in Vierteln gespielt. Über Morphwizz suchen sie einen für sie passenden Sound und spielen die jeweiligen Quinten des Akkordes in ganzen Noten hinzu. Die Kinder entscheiden sich für eine Heavy Metal Gitarre in Garage Band und den RezoBass in Morphwizz. Nach kurzem Soundcheck haben sie ihre Stimmen drauf. Wir verknüpfen alles mit dem Beat von den Cajons und verschiedene Mädchen greifen zum Mikrofon und singen mutig den Refrain.
Die zwei Stunden sind schnell vorbei, wir haben für die kurze Zeit unerwartet gute musikalische Ergebnisse. Die Erzieherinnen melden zurück, dass sie überrascht über die hohe Konzentrationsfähigkeit der Kinder und den Mut einiger sonst eher zurückhaltender ruhiger Mädchen sind, die plötzlich am Mikrophon singen.
Ein Blick in den Probenraum:
Ich verabschiede mich von einer hochmotivierten Gruppe, die den Rest des Tages üben will. Ich bin gespannt auf morgen 🙂
Tag 2
Tag 2 knüpft direkt an die Motivation vom Vortag an. Die Kinder haben entschieden am letzten Tag eine kleine Präsentation für Freunde und Eltern vorzubereiten. Da wir nur drei Tage à 2 Stunden zur Verfügung haben, können wir nicht zu viele verschiedene Songs und Abläufe probieren. Wir können aber auch nicht immer das Gleiche proben, da werden die Kinder unruhig. Ich moderiere zwischen neuen Ideen und dem Plan einen Song fertig zu machen geschickt hin und her. Dies gelingt, indem ich weiterhin alle Ideen ernst nehme; nichts wird bewertet oder grundlos verworfen. Gemeinsam überlegen wir was wir in unserer Zeit schaffen können, und was wir erstmal hinten anstellen.
Wir entscheiden, ein zweites eigenes Stück aus Improvisationen heraus zu entwickeln. Wieder beginnen wir mit einem Rhythmus auf den Cajons. Die Kinder denken sich Breaks und Frage- und Antwortspiele aus. Alle Ideen sind willkommen. Damit sind wir 60 min. konzentriert beschäftigt. Niemand hat gemerkt wie die Zeit verfliegt. Morgen integrieren wir die iPads in dieses von den Kindern gestaltete rhythmische Gerüst.
In der zweiten Stunde beschäftigen wir uns mit „Astronaut“. Die Kinder haben ihre Texte geübt. Der Gesang wird mutiger, die Abläufe sicherer. Alle sind voll bei der Sache.
Wieder großes Erstaunen der Erzieherinnen. Motivation und Konzentration für eine Sache sind sonst sehr problematisch.
Das neue Thema, die faszinierende Technik und meine Unterstützung lassen die Kinder über lange Zeit begeistert und aufmerksam bei der Sache bleiben.
Die ErzieherInnen lernen die Kinder neu kennen.
Tag 3
Wir proben beide Stücke immer und immer wieder. Alle haben ihre Position im Ensemble gefunden und füllen ihre Rolle leidenschaftlich aus. Es ist großartig zu beobachten, wie sie immer lockerer, lebendiger und selbstbewußter werden.
Für das ausgedachte Rhythmusstück haben wir die App TC-Performer dazugenommen. Sie bietet für Kinder mit Wahrnehmungsstörungen und eher wenig Rhythmusgefühl eine sehr gute Möglichkeit zum freien musikalischen Ausdruck durch Improvisation. Eins der Kinder improvisiert ein Intro und begleitet zwischendurch den Rhythmus durch freie Soundeinwürfe.
In den letzten Minuten kommt das Publikum. Die Kitakinder aus dem gleichen Haus, Erzieherinnen und einige Eltern füllen den Raum, singen begeistert mit und spenden tosenden Applaus.
Die Kinder gehen stolz ins Wochenende.
Fazit
Die Kombination aus Drums & Apps war insbesondere für diese Einrichtung ein gelungenes Zusammenspiel. Die Erzieherinnen melden zurück, dass die Kinder „nur beim Trommeln“ sicher nicht so intensiv dabei gewesen wären, dass aber ein Musikprojekt ausschließlich mit iPads hier auch zu einseitig wäre. Die Kinder würden die Bewegung und den Körpereinsatz beim Trommeln genießen und es sei wichtig, sich und die anderen zu erleben und zu spüren, lebendig und in Kontakt mit sich und anderen zu sein. Das alles ist über das gemeinsame Trommeln und Singen für die Kinder gut erlebbar. Die iPads waren eine gute Ergänzung. Sie haben den Gesang unterstützt und die „Band“ vervollständigt.
Eine gelungene Kombination aus Live Musik und Appmusik!
Frauke Hohberger, freie Musikpädagogin
http://musik-zieht-immer.de
Freie Musikpädagogin.
Schwerpunkte: Rhythmus & Percussion, Songwriting für Kids, Musik mit Apps. Ensembleleitung, Dozentin, Autorin (u.a. Selfie mit Löwenzahn – entdecke die Natur mit Smartphone & Tablet, 2016 Haupt Verlag)
Sie hat den ersten Durchlauf der tAPP-Fortbildung besucht und leitet seit dem verschiedene Appmusikgruppen und Projekte.
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